Spiegelneuronen – Gehirnzellen, die emotionale Empathie ermöglichen

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Spiegelneuronen

Befähigen uns zu emotionaler Empathie – die Spiegelneuronen

Sie kennen das wahrscheinlich: jemand fängt an zu gähnen und sofort müssen Sie unweigerlich mitgähnen. Auch wenn jemand sehr herzhaft lacht, können sich die meisten zumindest ein Schmunzeln nicht verkneifen. Verantwortlich dafür sind besondere Gehirnzellen: die Spiegelneuronen. In diesem Artikel gehe ich darauf ein, was Spiegelneuronen sind, wie sie wirken und natürlich auch darauf, wie Sie diese Erkenntnisse in Ihrem Alltag nutzen können.

Was sind Spiegelneuronen?

Spiegelneuronen sind Nervenzellen im präfrontalen Cortex (Stirnlappen) des Gehirns. Das Besondere an Spiegelneuronen ist, dass sie dasselbe Aktivitätsmuster aufweisen wenn man eine Handlung beobachtet, wie wenn man dieselbe Handlung selbst durchführen würde. Folgende Effekte sind auf Spiegelneuronen zurückzuführen:

  • Beobachtetes Verhalten wird intuitiv nachgeahmt
  • Beobachtete Emotionen werden automatisch nachempfunden (emotionale Empathie)
  • Wenn zwei Menschen eine emotionale Verbindung haben (in der Psychologie „Rapport“ genannt), werden sie unbewusst auch ihre Körpersprache harmonisieren, z.B. durch das Einnehmen einer ähnlichen Sitzposition

Obwohl Spiegelneuronen verschiedene Aufgaben wahrnehmen, werden sie primär mit der Entstehung von Empathie assoziiert. Wenn Sie herausfinden möchten, wie hoch Ihre eigene Empathie ist, sollten Sie unseren kostenlosen Empathie-Test (Dauer: 2 Minuten) durchführen.

Wie funktionieren Spiegelneuronen?

Spiegelneuronen sind nicht für einen einzelnen Muskel oder für eine isolierte Bewegung zuständig, sondern für eine komplette Handlungsfolge, beispielsweise „etwas trinken“ oder „Fahrradfahren“. Wenn Sie eine Handlung beobachten, werden die entsprechenden Spiegelneuronen aktiv. Sie erzeugen Signale, die Ihrem Gehirn suggerieren, dass Sie die Handlung selbst durchführen würden. Durch die Simulation der Handlung entstehen im nächsten Schritt dann die Gefühle, die auch entstehen würden, wenn Sie die Handlung selbst durchführten. Dieser Ablauf im Gehirn ist die Grundlage für emotionale Empathie, da Sie automatisch nachempfinden, was Ihr Gegenüber fühlt.

Spiegelneuronen werden aber nicht nur dann aktiv, wenn Sie selbst eine Handlung durchführen oder diese beobachten. Für die Aktivität der Spiegelneuronen sind auch das Hören von handlungstypischen Geräuschen, die Erwähnung der Handlung in einem Gespräch oder sogar die bloße Vorstellung, dass jemand die Handlung durchführt, ausreichend.

Nachdem die Spiegelneuronen aktiv waren und die entsprechenden Emotionen wachgerufen sind, setzt anschließend in der Regel eine Aktionshemmung ein. Dies ist notwendig, damit Sie nicht wahllos jedes beobachtete Verhalten imitieren und nicht durchgehend von den Gefühlen anderer übermannt werden. Aktionshemmungen treten beispielsweise auf, wenn Sie zum Zeitpunkt der Beobachtung starke eigene Gefühle haben, die dann die simulierten Emotionen überlagern. Die Aktionshemmung kann aber auch durch Ihren Verstand erfolgen. Bei Kleinkindern sind diese Aktionshemmungen übrigens wesentlich schwächer ausgeprägt, so dass sie dazu neigen, fast alles nachzumachen.

Diese normalen Aktivitätsmuster werden teilweise durch neurologische Anomalien beeinträchtigt. Aktuelle Forschungen legen beispielsweise nahe, dass Spiegelneuronen bei Autismus anders funktionieren. Dies könnte ein wichtiger Grund dafür sein, dass viele Autisten keinen intuitiven Zugang zu anderen Menschen finden. Es sind jedoch nicht nur neurologische Gegebenheiten, die die Wirkungsweisen Ihrer Spiegelneuronen beeinflussen.

Wie Spiegelneuronen wirken, ist auch von Ihren Erfahrungen abhängig

Im gesamtgesellschaftlichen Kontext bilden Spiegelneuronen die Basis für emotionale Empathie, Sprache und sogar Kultur. Wenn Ihnen in Deutschland jemand die Zunge entgegenstreckt, werden Sie dies wahrscheinlich als Beleidigung auffassen oder davon ausgehen, dass sich Ihr Gegenüber vor etwas ekelt. In Tibet ist das Rausstrecken der Zunge eine gängige Geste zur Begrüßung. Die Geste wird im Kleinkindalter eingeübt, die emotionale Bewertung wird von Eltern oder anderen Bezugspersonen übernommen.

Wie sich die Spiegelneuronen im Detail verhalten, ist also abhängig von den gemachten Erfahrungen. Die gemeinsamen Erfahrungen einer Kulturgemeinschaft werden und wurden von Werbung und Politik auch zur Manipulation verwendet. Hierfür ist Hitler ein gutes Beispiel. Wie kaum ein anderer war er in der Lage, sein gesamtes Auftreten so zu inszenieren, dass die Zuhörer über seine Gestik, Mimik, Stimme, etc. automatisch von Gefühlen wie Hass, Stolz und Überlegenheit erfüllt wurden.

Auch auf der Ebene des Individuums, ist die Aktivität der Spiegelneuronen abhängig von den Erfahrungen. Haben Sie beispielsweise öfter die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die Sie freundlich anlächelten, später einen Gefallen von Ihnen einforderten, werden Sie, wenn Sie ein Lächeln beobachten, anders reagieren, als jemand, der diese Erfahrung nicht gemacht hat.

Auch Ihr Medienkonsum beeinflusst, wie sich Ihre Spiegelneuronen entwickeln. Jemand, der sich häufig Filme mit brutalen Inhalten ansieht, trainiert seine Spiegelneuronen so, dass er Gewalt als normal empfindet. Die Person stumpft ab und reagiert dann auch bei Gewalt im realen Leben mit wesentlich weniger Mitgefühl.

Wie können Sie dieses Wissen über Spiegelneuronen im Alltag einsetzen?

Interaktion mit Kleinkindern und Babys
Das größte Entwicklungspotenzial haben Spiegelneuronen in den ersten drei bis vier Lebensjahren. Um die Entwicklung der Spiegelneuronen zu fördern, sollten Eltern möglichst häufig und bestenfalls auch mit einer entsprechenden Emotionalität mit Ihren Kindern sprechen. Kleinkinder und Babys bauen durch das Nachahmen von Mimik u.ä. eine emotionale Bindung auf, lernen eigene Gefühle wahrzunehmen und üben den Gefühlszustand anderer Menschen zu erkennen.

Vorbildfunktion
Auch dieser Punkt bezieht sich in erhöhtem Maße auf die Erziehung von Kindern. Er ist jedoch auch im Umgang mit Kollegen und Mitarbeitern von Bedeutung. Wenn Sie eine Handlung durchführen, werden sich die Spiegelneuronen derer, die Ihr Verhalten beobachten, so entwickeln, dass sie sich zukünftig wahrscheinlicher auch so verhalten werden, wie von Ihnen vorgelebt. Verhalten Sie sich also so, wie Sie es sich von den Menschen um Sie herum wünschen.

Lernen durch Beobachten
Wenn Sie selbst etwas Neues lernen möchten, sollten Sie sich zunächst jemanden suchen, der in diesem Bereich bereits erfolgreich ist. Anschließend sollten Sie Ihn beobachten und sein Verhalten kopieren. Ihre Spiegelneuronen werden Ihnen helfen, dieselben Verhaltensweisen und Gefühlszustände anzunehmen, die letztlich dann auch zum selben Ergebnis führen. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter dem Stichwort Modelling.

Geistige Hygiene
Mit geistiger Hygiene ist gemeint, dass Sie aktiv und bewusst darüber entscheiden, welche Gedanken Sie in Ihrem Kopf zulassen, mit welchen Menschen Sie sich umgeben und welche Medien Sie konsumieren. All dies hat einen Einfluss darauf, in welche Richtung sich Ihre Spiegelneuronen entwickeln und damit auch darauf, wie Sie letztlich denken und handeln. Überlegen Sie sich also, wie Ihr Leben aussehen soll und überprüfen Sie dann die auf Sie wirkenden Umwelteinflüsse.

{ 2 comments… add one }
  • Daniela 11. Januar 2020, 14:11

    Hallo!
    Ein interessanter Beitrag! Die Quellen würden mich interessieren. Leider ist es aus Forschersicht nicht so einfach mit den Spiegelneuronen wie anfangs gedacht und immer noch in Büchern verbreitet wird, siehe https://psyarxiv.com/6bu4p

    Alles Liebe!
    Daniela

    Reply
    • Carlo Düllings 3. April 2020, 19:51

      Hallo Daniela,

      der Artikel hier ist ja schon etwas älter. Wer sich für die aktuelle Situation in der Forschung interessiert, kann sich mit der von Dir verlinkten Studie ganz gut informieren, finde ich. Danke fürs Teilen, war interessant zu lesen.

      Ja, wie Du selbst schreibst, Empathie und die Rolle der Spiegelneuronen wissenschaftlich zu erforschen, gestaltet sich sehr schwierig. Man erhält unterschiedliche Ergebnisse zur Aktivität der Spiegelneuronen, je nachdem, mit welcher Methode man misst und auch Empathie ist ein sehr vielseitiges und schwer greifbares Phänomen für das keine einheitliche Definition existiert. Es ist außerdem ein grundsätzliches Problem der Psychologie, dass das Innenleben eines Menschen schwer messbar und zudem auch sehr individuell ist. Für mich ist Empathie zudem auch etwas mehr als das, was man wissenschaftlich erklären kann. Allerdings nähert sich die Wissenschaft inzwischen auch immer mehr solchen Aspekten. Stichworte: Quantenphysik, Doppelspalt-Experiment.

      Trotzdem leistet die Wissenschaft ja einen guten Beitrag für unser Verständnis. In der von dir verlinkten Meta-Studie steht z.B., dass es Hinweise für einen Zusammenhang zwischen Spiegelneuronenaktivität und Empathie gibt. Wie der konkret aussieht würde natürlich alle interessieren, aber wir sollten nicht warten, bis die Wissenschaft alles vollständig erkannt, untersucht, verstanden und erklärt hat, bis wir das, was wir jetzt glauben zu wissen, anwenden.

      Einstein wäre wahrscheinlich nie zu seiner Entdeckung des Raum-Zeit-Kontinuums gekommen, wenn Newton vorher nicht sein „falsches“ Konzept der absoluten Zeit ausgearbeitet hätte.

      Selbst wenn sich später irgendwann herausstellen sollte, dass das mit den Spiegelneuronen alles Quatsch war, so hilft es uns doch im Hier und Jetzt Phänomene der Empathie, die wir in unserem Alltag erleben, besser zu verstehen.

      Liebe Grüße zurück

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